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WAS UNSERE PERSÖNLICHKEIT BEEINFLUSST UND WARUM INDIVIDUELLES WACHSTUM IN JEDEM ALTER MÖGLICH IST.
Lange ging man davon aus, dass die eigene Persönlichkeit vor allem im Kindes- und Jugendalter geprägt wird. Laut der Persönlichkeitspsychologin Eva Asselmann von der HMU Health and Medical University bei Potsdam entwickeln sich Menschen jedoch ihr ganzes Leben lang – sogar noch bis ins hohe Alter. In ihrem neuen Werk „Woran wir wachsen. Welche Lebensereignisse unsere Persönlichkeit prägen und was uns wirklich weiterbringt“ präsentiert die Professorin Ergebnisse aus ihrer eigenen Forschung, für die sie die Daten von tausenden Menschen ausgewertet hat und die durchaus überraschen: Beispielsweise lässt die Geburt des ersten Kindes weit weniger reifen als der erste richtige Beruf.
Wechselspiel aus Genen und Umwelt
Nicht nur die Gene beeinflussen unsere individuelle Persönlichkeit, auch unsere Umwelt spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, wer wir sind. Da sich letztere immer wieder verändern kann, ist es auch möglich, unsere Persönlichkeit dementsprechend zu verändern, beginnt die Autorin ihr Buch: „Das Ganze ist ein Wechselspiel: Unsere Umwelt prägt uns, und wir prägen sie – durch unser Denken, Fühlen und Verhalten.“ Doch welche Faktoren definieren unsere Persönlichkeit und wie wirken sich einschneidende Erlebnisse auf unsere Persönlichkeit aus? Asselmann schreibt, dass hier eine Vielzahl an Eigenschaften zu berücksichtigen sind. Besonders prägend seien jedoch fünf grundlegende Persönlichkeitsmerkmale, die sogenannten „Big-Five“: Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und emotionale Stabilität formen laut der Psychologin Persönlichkeiten.
Die Big-Five
„Die großen Fünf sind sogenannte ‚dimensionale Merkmale‘, was bedeutet, dass sie bei einzelnen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Wir alle haben sie, doch leben wir sie in unterschiedlichem Grad“, schreibt Asselmann. Dabei betont sie, dass es nicht um die Abgrenzung bestimmter Typen zueinander, sondern um die Ausprägung verschiedener Merkmale geht. Menschen bewegen sich auf einer Skala – es gäbe also nicht die Introvertierten auf der einen und die Extravertierten auf der anderen Seite. Wie wir bei den Big-Five aufgestellt sind, beeinflusst unsere psychische sowie körperliche Gesundheit und wie wir mit bestimmten Lebensereignissen umgehen. Um zu schauen, wo man selbst auf den verschiedenen Skalen der Big-Five steht, hat die Persönlichkeitspsychologin Fragebögen für die Leser:innen mit eingebaut.
Persönlichkeitsreifung
Im weiteren Verlauf des Buchs wirft die Autorin einen Blick darauf, wie sich die Persönlichkeit eines Menschen im Laufe des Lebens verändert – wie beispielsweise durch die erste Beziehung, den ersten Job, die Corona-Pandemie oder den Tod eines geliebten Menschen. Dabei geht sie auf verschiedenste Beispiele mit spannenden Ergebnissen ihrer Studien ein. „In der Jugend, ähnlich wie in der Kindheit, finden sich schwächer ausgeprägte durchschnittliche Persönlichkeitsveränderungen als im Erwachsenenalter“, schreibt Asselmann. Grund für diese Persönlichkeitsreifung sei das sogenannte „soziale Investitionsprinzip“. Dieses geht davon aus, dass sich Menschen bei einschneidenden Ereignissen verändern, weil sie neue soziale Rollen einnehmen: „Das junge und frühere mittlere Erwachsenenalter ist durch eine Vielzahl an Lebensereignissen, Übergängen und Neuanfängen geprägt, die unseren Alltag auf den Kopf stellen. Wir fangen an zu arbeiten, führen die erste ernst zu nehmende Beziehung, heiraten oder bekommen Kinder. Bedingt durch diese Entwicklung nehmen wir neue soziale Rollen ein.“
Neue Rollenanforderungen
Aber warum ist der Einsteig ins Berufsleben beispielsweise ein einschneidenderes Erlebnis als die Geburt des ersten Kindes? Auch hier geht Asselmann noch einmal auf das „soziale Investitionsprinzip“ ein. Laut der Autorin mache der erste Berufseinstieg aus einem Menschen eine:n Arbeitnehmer:in. Mit dieser konkreten Rolle gäbe es bestimmte Rollenanforderungen wie beispielsweise Gewissenhaftigkeit, Pünktlichkeit, Disziplin und Fleiß. „Weil wir bestehen wollen, begegnen wir neuen Anforderungen erhobenen Hauptes: Im Handumdrehen verhalten wir uns verträglicher und gewissenhafter, schließlich haben wir keine andere Wahl“, so Asselmann. „Wenn wir das über Wochen, Monate oder gar Jahre durchziehen, verändert sich unsere Persönlichkeit.“ Natürlich würden sich auch neue Anforderungen ergeben, wenn man ein Kind bekommt, jedoch seien die Anforderungen im Berufsleben klarer. Dort bekämen die Menschen deutlicheres Feedback, welches man vom Nachwuchs so nicht bekommt – zumindest solange dieser noch nicht reden kann. Besonders spannend ist dazu eine Schweizer Studie, die sie zitiert, welche bei 884.328 Jugendlichen aus 62 verschiedenen Ländern und Kulturen durchgeführt wurde: Egal ob Peru, Philippinen oder Polen – überall zeigte sich eine Zunahme in Sachen Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit, emotionaler Stabilität und sozialer Dominanz im Laufe des Reifeprozesses: „Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass die Persönlichkeit junger Erwachsene vor allem durch neue Rollen reift.“
Je spezifischer, desto besser
Wie aber können Menschen dieses Wissen nutzen, um etwas an der eigenen Persönlichkeit zu verändern? Wie kann man offener oder emotional stabiler werden? Die Persönlichkeitspsychologin rät dazu, Dinge sukzessiv in den Alltag zu integrieren, die andere Persönlichkeiten auszeichnen. Wer beispielsweise extravertierter werden möchte, solle sich konkret Dinge vornehmen, die extravertierte Personen auszeichnen, wie eine eine Studie aus den USA zeige. Bei dieser wurden Teilnehmende angehalten, sich jede Woche Ziele aufzuschreiben, um ihrer Wunschpersönlichkeit schrittweise näherzukommen. Wichtig sei hier, wie man die eigenen Ziele ausformuliere: „Es zeigte sich, dass die Ziele der Teilnehmenden nur dann wirksam waren, wenn sie konkret formuliert wurden.“ Wer also extravertierter werden möchte, sollte sich nicht nur vornehmen, offener zu sein, sondern konkret auf spezifisches Verhalten eingehen wie: „Am Dienstag lade ich meinen Schwarm zum Essen ein“ oder „Diese Woche gehe ich dreimal am Abend mit Freund:innen aus“.
Selbstliebe vs. Selbstoptimierung
Asselmann warnt jedoch davor, dass man sich bei dem Wunsch nach Persönlichkeitsveränderung nicht übernehmen solle. Zuerst sollte man die Gründe für den Änderungswunsch hinterfragen: „Die Motivationen für eine Selbstveränderung sind breit gestreut. Wo hört persönliches Dazulernen auf und wo fängt problematische Selbstoptimierung an?“ Man sollte nicht versuchen, krampfhaft in eine Schublade passen zu wollen – Lernbereitschaft sei in Ordnung, exzessive Selbstoptimierung eher kritisch. Bevor man also an der eigenen grundlegenden Wesensart rumschraubt, solle man sich Fragen stellen wie: Warum ist es notwendig, offener, gewissenhafter, extravertierter, verträglicher oder emotional stabiler zu sein? Was wäre im Alltag konkret anders, wenn wir selbst ganz anders wären? Was liefe besser und was schlechter? Denn schließlich sei es gut, dass es eine große Vielfalt an Persönlichkeiten gibt – daraus entstehe laut Asselmann ein großer Mehrwert für unsere Gesellschaft. Schließlich wäre es ziemlich langweilig, wenn alle Menschen auf der Welt gleich wären.
DIE BIG 5 PERSÖNLICHKEITSMERKMALE
NEUROTIZISMUS/ INSTABILE EMOTIONALITÄT:
Ist man emotional stabil, gelassen und selbstsicher? Oder eher angreifbar und unsicher?
EXTRAVERSION:
Ist man eher gesellig und lebhaft? Oder braucht man mehr Zeit für sich alleine, um sich von Reizüberflutungen wie Menschenansammlungen zu erholen?
GEWISSENHAFTIGKEIT:
Ist man eher zuverlässig, zielstrebig, entschlossen und ordentlich? Oder nimmt man auch mal Fehler in Kauf und ist weniger achtsam?
VERTRÄGLICHKEIT:
Wie verhält man sich im Umgang mit anderen? Geht man freundlich und zuvorkommend mit anderen um? Oder stehen Wettbewerb und Durchsetzungskraft im Fokus?
OFFENHEIT FÜR ERFAHRUNGEN:
Wie aufgeschlossen ist man? Ist man eher neugierig, erfinderisch und einfallsreich? Oder stärker von Vorsicht geprägt und zieht Gewohntes dem Neuen vor?
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