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Felssturz: Ein Jahr ohne Ausweg

2022 zerstörte ein Felssturz die Zufahrtsstraße in den Ort Guntschach. Bis heute ist der Felsen nicht saniert und die Gemeindestraße nicht wiederhergestellt. Ein Dorf zieht Bilanz.

12 Min.

© Peter Just

Wo einst die heilige Hemma Rast gemacht haben soll, klafft nun ein Abgrund in der Guntschacherstraße in Maria Rain. Das aufgrund des Klimawandels immer häufiger werdende, extreme Wechselspiel zwischen Frost und Tauwetter sorgte am 15. Dezember 2022 für einen Felssturz, der die drunterliegende, einspurige Dorfstraße abriss und eine lebensgefährliche Stelle hinterließ. Nun ist mehr als ein Jahr vergangen. Nach dem Ereignis wurde zunächst die ehrenamtliche Valentinsfähre aktiv. Normalerweise sind Fahrten mit den Floßen des Traditionsvereins eine sommerliche Attraktion für Gäste und Einheimische, die mit Fahrrädern oder zu Fuß auf die andere Seite der nahegelegnen Drau schippern. Im Dezember 2023 wurden die engagierten Mitglieder über Nacht zu Krisenpartnern. Selbst in Eiseskälte und an Feiertagen halfen sie, wo sie konnten, und ermöglichten nicht zuletzt den Kindern ihren Schulweg. Bis heute ist die Hilfeleistung der Valentinsfähre essentiell. Um eine Ausfahrt zu ermöglichen, wurde schließlich entlang der Drau ein vier Kilometer langer Forstweg zur Notstraße ausgebaut. Über diesen konnten die Bewohner, sofern es die Witterung zuließ und die Autos geländegängig waren, den Ort verlassen. Eine Herausforderung, besonders für berufstätige Personen mit Kindern, die statt fünf Minuten nun zwei Stunden täglich unterwegs waren, und dazu nicht ungefährlich. Die Offroad-Strecke verlangte Allrad antrieb, große Niederschlagsmengen behinderten oft die Ausfahrt. „Es war eine Belastung, aber es war ein Ausweg“, erzählt eine Bewohnerin. Heute ist die Notstraße nur noch Wunschdenken. Die Unwetter des Sommers haben zur vollständigen Zerstörung geführt. Während die Sanierung des Hemmafelsens noch in weiter Ferne lag, war nun auch der letzte Ausweg dahin.

Wer nicht auszieht, ist auf sich gestellt.

Nach den Unwettern bedurfte es auch an anderen Stellen im Ort Aufräum- und Sicherungsarbeiten seitens der zuständigen Wildbach- und Lawinenverbauung Kärnten (WLV). Dazu wurde ein Assistenzeinsatz des Bundesheeres auf den Plan gerufen, um per Autofähre Maschinen über die Drau zu transportieren und die Autos der Bewohner hinauszubringen. Zudem kam eine Personenfähre zum Einsatz, um das Übersetzen zu gewährleisten. „In der Zeit haben wir das erste Mal den Krisenplan bekommen. Die Lösung der Entscheidungsträger war, dass alle ausziehen“, so die Bewohnerin. Von den Behörden wurden Notunterkünfte bereitgestellt – eine notwendige Lösung für Familien und Menschen mit Bedarf an medizinischer Versorgung. Doch nicht für alle war der Auszug eine Option. Mit Anfang September war die Hilfeleistung des ÖBH beendet. „Wir haben Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, bei den höchsten Instanzen des Staates um Hilfe urgiert, aber nur Absagen bekommen. Es war klar, wer nicht auszieht, muss selbst sehen, wie es weitergeht.“ 

Waldwege, Unwetter & Zusammenhalt.

Die Verbliebenen sind vor allem Land- und Forstwirte, Tierhalter und ältere Menschen. Eine Handvoll hält das Dorf instand, man unterstützt sich gegenseitig. Für den Angestellten und Forstwirt Rupert Pogoriutschnig wäre ein Auszug unmöglich. Er ist für die Wasserversorgung in Teilen des Ortes zuständig. „Viele Häuser sind mit Holz zu heizen. Außerdem werden einige mit unserem Wasser versorgt. Im Winter und bei Unwettern muss ich vor Ort sein, um potenzielle Schäden, wie wir sie im Sommer hatten, sofort zu beheben.“ Seine Brennholzkunden wechseln den Anbieter. „Eine Lieferung ist nicht mehr möglich. Auch bei der Waldarbeit ist Vorsicht geboten, Rettungskräften bleibt nur der Weg per Hubschrauber, sofern der es durch den Nebel schafft. Und für die Haustiere gibt es im Notfall keinen Weg zum Tierarzt.“ Familie Povoden bewohnt mehrere Häuser im Ort, Florian Povoden ist als einziger dauerhaft geblieben und kümmert sich nun neben seinem Beruf um Häuser und Tiere. „Es gibt viel zu tun. Haustiere und Hühner sind zu versorgen, drei der vier Häuser sind mit Holz zu beheizen.“ Die Familienmitglieder sind in Ersatzunterkünften untergebracht, dort wurde auch Weihnachten gefeiert. „Zu bewältigen gab es in diesem Jahr einiges. Die großen Regenmengen und damit verbundene Muren haben Häuser bedroht, Wege un passierbar gemacht und zu Problemen bei der Trinkwasserversorgung geführt. Im Herbst gab es wieder Sturmereignisse mit beschädigten Dächern, umgestürzten Bäumen und Hochwasser in der Drau. Irgendwann hört man auf, die schlaflosen Nächte zu zählen und funktioniert einfach. Das alles konnte aber nur mit dem beispiellosen Einsatz der Bevölkerung bewältigt werden. Es wurde mit Bagger, Traktor oder mit den Händen geholfen, wo es notwendig war“, lobt Povoden die Gemeinschaft seiner Heimat. Es ist dieser Zusammenhalt, der jetzt dafür gesorgt hat, dass die Bewohner das Dorf überhaupt verlassen können. Der tägliche Weg erfolgt nun über einen Wanderweg durch den Wald, der von der Bevölkerung privat mit engagierter Hilfe von Robert Hummer von der Klagenfurter Bergrettung befestigt wurde. „Das ist aktuell zweimal täglich unser Weg“, erzählt eine weitere Bewohnerin. Als Angestellte sei es im Winter besonders belastend. „Morgens im Dunkeln zum Auto marschieren, abends das Gleiche retour, während ich in meinem Beruf durchgehend auf den Beinen bin.“ Auch der sandige Boden des Sattnitzzuges ist beschwerlich. „Meine Familie ist sportlich, aber ohne Bergschuhe mit Spikes geht es oft nicht. Die Rutschgefahr ist zu groß.“ Der Umstand, dass die Bevölkerung all diese Maßnahmen selbst setzen muss, scheint für viele selbstverständlich. „Es scheint, als würde man sich darauf ausruhen, dass wir alles selbst bewerkstelligen. Aber wir haben keine Wahl.“ Für Harald Knes sind Wut und Verzweiflung tägliche Begleiter. Seine Eltern sind die ältesten Bewohner Guntschachs. Ein regelmäßiger Gang zu Kontrolluntersuchungen sind nicht möglich. Die Infrastruktur abseits des Felsens macht ihm Gedanken: „Die Instandhaltung der übrigen Gemeindestraßen im Ort wurde im ganzen letzten Jahr nicht begutachtet. Fünfmal haben wir selbst die Straßen und Kanäle gesäubert, ansonsten wären Schäden in hoher Summer entstanden. Von außen werden wir oft belächelt.“ Die Auffassung teilen viele Guntschacher: „Wir fühlen uns nicht ernst genommen.“

Der Wasserweg und der Winter.

Die Valentinsfähre ermöglicht unterdessen den Familien, die ausziehen mussten, das Wochenende zu Hause zu verbringen. Eine Hilfeleistung, die witterungsabhängig ist, was die Unwetter im Spätherbst vor Augen führen. Das Hochwasser hatte das Fährhaus und die Anlegestelle geflutet und Stege mit sich gerissen. Die Strömung brachte Baumstämme mit sich – eine lebensgefährliche Situation. Als Partner in der Krise ist die Valentinsfähre unabdingbar geworden, das sehen mittlerweile auch Außenstehende, erzählt Obmann Florian Poganitsch. „Die Resonanz von außen ist sehr positiv. 25 Jahre lang war die Valentinsfähre ein Traditionsverein, eine Attrak-
tion. Jetzt ist sie notwendig. Auch Außenstehende sehen nun unseren Wert. Das macht uns stolz.“ Die Guntschacher Bevölkerung steht im engen Austausch mit Pogantisch und ist dankbar, die Fähre zu haben. Nicht gänzlich geklärt bleibt die Frage, wie im Notfall Einsatzkräfte ins Dorf kommen sollten. „Es gibt Krisenpläne, die an den Einsatz der Fähre gebunden sind. Bei Hochwasser sind die Pläne hinfällig“, gibt Bewohnerin Alexandra Webernig zu bedenken. Ein Krankenwagen und ein Löschfahrzeug wurden Anfang 2023 im Ort stationiert. Ersterer wurde wieder abgezogen; die Bereitstellung eines Defibrillators stellten die Bewohner selbst auf die Beine. Das Löschfahrzeug ist noch da – im Ernstfall eine weitere Aufgabe für Florian Povoden: „Die Situation ist speziell. Wir sind zwei Feuerwehrleute im Ort, wobei ich derzeit alleine bin, sofern ich nicht bei der Arbeit in Klagenfurt bin. Kurz nach dem Felssturz wurde ein Löschfahrzeug bei uns stationiert. Der Plan ist, dass die Einsatzkräfte im Notfall mit dem Hubschrauber, über die Drau oder über den Steig kommen.“ Ein Plan, der also vollständig von der Witterungslage abhängig ist. Brigitte del Fabro sieht das Krisenmanagement weitgehend verfehlt. „Während des Bundesheereinsatzes hätte man ein Schneeräumfahrzeug überstellen können. Bei Schnee müssen wir die Räumung mit privaten Traktoren durchführen. Ohne Schneeräumung kommen im Notfall auch Einsatzkräfte nicht weit.“  

Für die Schneeräumung, die nun weit besser funktioniert als in den Jahren zuvor, und den Kampf gegen das Glatteis sind die engagierten Bewohner Rupert Pogoriutschnig und Florian Povoden verantwortlich. Für letzteren hieß es im Jänner Tagwache um 04:00 morgens, um mit dem umgebauten Salzstreuer am Traktor dem wachsenden Glatteis Herr zu werden und für einen sicheren Arbeitsweg für alle zu sorgen. „Florian gebührt höchste Anerkennung. Was er für die Gemeinschaft tut, übersteigt die Selbstverständlichkeit enorm,“ sind sich die Bewohner einig. Auch Brigitte del Fabro und Partner Stefan Herzog nehmen regelmäßig die Schaufel mit auf den Steig, um den Weg für alle passierbar zu machen.

Nichts wie gewohnt.

Eine weitere Bewohnerin ist Halterin von großen Hunden und in Guntschach geblieben, da eine artgerechte Tierhaltung im Notquartier nicht gegeben ist. „Ich bin, seit die Notstraße weg ist, nicht mehr rausgekommen. Kein Einkaufen, kein Arztbesuch. Der einzige Lichtblick ist, wenn sich unsere Freunde auf den mühsamen Weg zu uns machen. Dem Kampfgeist weicht aber langsam das Aufgeben.“ Eine Erkrankung macht es ihr unmöglich, den Steig zu benutzen, auch die Übersetzung über den Fluss ist beschwerlich. „Auch mit dem Gas müssen wir sparen.“ Eine Gaslieferung war im letzten Jahr nicht möglich. „Somit ist es einsam geworden in Guntschach“, schließt sie und hofft, dass Notfälle ausbleiben. Für viele macht sich Ärger breit. „Was sonst normal ist, ist für uns utopisch: ein Sozialleben, Freunde treffen, Postzustellung, Müllabfuhr …“, erzählt del Fabro. Die Kosten für Letzteres bleiben aufrecht. „Eine Aufhebung wurde abgelehnt.“

Landwirtschaft und Existenzen am seidenen Faden.

Für Kathrin Moritz hieß es gemeinsam mit Mann und Kind Abschied nehmen vom neu gebauten Haus. Berufstätig und mit einem Dreijährigen ist der tägliche Aufstieg nicht zumutbar. Auch ihre Pferde mussten weichen, hierbei unterstützt eine Landwirtin im Rosental. „Meine Pferde habe ich umgesiedelt, da ich die tägliche Versorgung nicht gewährleisten konnte. Ich wusste nicht, wie ich bis zur Straßenfreigabe an Futter kommen soll. Ich werde die Pferde wohl erst im Frühjahr 2024 nach Hause holen können, weil ein Erdrutsch den Pferdebereich verwüstet hat und dieser saniert werden muss. Das klappt ohne Straße nicht. Die Schafe und Hühner sind geblieben, mein Lebensgefährte geht alle zwei Tage nach Hause, um sie zu versorgen. Es ist zermürbend und kräftezehrend. In der heutigen Zeit ist das kaum zu glauben. Jeder, der unsere Situation kennt, sagt, dass es ein Albtraum ist.“ Für Landwirt Christian Webernig hat der Albtraum schon mit dem Felssturz begonnen. Der Nebenerwerbsbauer, der in den vergangenen Jahren in die zukunftsfähige Entwicklung seines Hofes investiert hat, zittert nun um dessen Weiterbestand. Bereits in der letzten Saison konnte auf den Feldern kein Sommergetreide angebaut werden, da auf der Notstraße eine Beschränkung von sechs Tonnen aktiv war. Saatgut und Mähdrescher zu transportieren wurde unmöglich. „Allein der ausgefallene Maisertrag ist ein riesiger Verlust. Dazu kommen über 200 Meter Buchenholz, die ich nicht verkaufen kann. Den Kundenstock verliere ich. Das Wintergetreide mussten wir niederschlegeln. Wir haben einen finanziellen Ausfall von 100 % bei gleichbleibenden Ausgaben. Unterstützung gibt es keine.“  Auch seine Frau Alexandra trifft die Situation besonders hart, sie verlor aufgrund der schwierigen Mobilität sogar ihren Job. 

Kinder, Großeltern und ein Sozialleben.

Die Familien gehen von den Notquartieren aus ihrem Alltag nach. Eine emotionale Herausforderung für die Kinder. „Sie sind es gewohnt, neben Oma und Opa aufzuwachsen, den Alltag am Hof zu verbringen. Jetzt kommen wir wochenends nach Hause, müssen sonntags wieder mit Sack und Pack abreisen. Wir sehen ein verändertes Verhalten bei den Kindern. Sie sind weinerlich, streiten mehr. Es belastet sie“, so Webernig. Auch Unternehmer Otto Sattmann kennt das: „Für die Kinder ist vieles nicht verständlich – wo sind wir zu Hause?“ Auch er lebt mit der Familie in einer kleinen Notunterkunft. Viele gewohnte Dinge konnten sie nicht mitnehmen. „Skisachen, Eislaufschuhe, Spielsachen … Wohin damit in einer kleinen Wohnung?“ Besonders die Sonntage sind für die Familien, die ihre Wochenenden, so gut es geht, in Guntschach verbringen, in puncto Aufbruchstimmung getrübt. „Mittlerweile sind große Emotionen im Spiel“, schließt Alexandra Webernig angesichts der Ungewissheit.

Guntschach wird es auch weiterhin geben, da mach ich mir keine Sorgen!

Guntschacherin Sophie Povoden

BLICK IN DIE ZUKUNFT

Die geborene Guntschacherin Sophie Povoden hängt an ihrer Heimat – und sie nimmt all jenen Stimmen, die die Besiedlung solcher Gebiete kritisieren und sogar von Absiedelung sprechen, den Wind aus den Segeln. Sie selbst weiß am besten, wie weit die Geschichte der Guntschacher Familien und ihrer Höfe zurückgeht. „Aus psychologischer Sicht wäre es eine Studie wert, was 2023 mit uns gemacht hat. Ein Jahr voller Emotionen, Hoffnungen, Enttäuschungen und Entbehrungen. Aber Guntschach besteht nicht erst seit 2023 – diesen kleinen Weiher an der Drau gibt es 1000 Jahre oder länger! Allein das Kirchlein, auf einem Keltenhügel erbaut, wurde schon im 13.Jhdt erwähnt, diente als Stützpunkt für Flößer, die ihre Güter drauabwärts bis nach Krain transportierten. Mit welchen Katastrophen wurden schon unsere Ahnen konfrontiert, kaum vorstellbar, aber sie haben überlebt und einen Ausweg gefunden. Guntschach wird es auch weiterhin geben, da mach ich mir keine Sorgen! Es leben tüchtige Menschen hier und Kinder, für die dieses Ereignis sicherlich prägend für ein ganzes Leben sein wird. Ich hoffe für uns alle, dass irgendwann eine Sternschnuppe vom Himmel fällt und wir uns alle wünschen – nein, glauben! – jetzt haben wir es geschafft. Es wird ein erlösendes, gutes und friedliches Jahr 2024 für uns alle.“

DER STATUS QUO

Bisher ist am gigantischen Felsen erst eine Terrasse fertiggestellt – und das seit November. Im Gemeinderatsprotokoll des 17. Oktober 2023 wird festgehalten, dass die zuständige Firma 300-500m3 Material pro Tag abtransportieren kann, womit die Sanierung des Felsens bei entsprechenden Witterungsbedingungen in rund 50 Tagen netto fertiggestellt sein sollte. Wann die Straße fertiggestellt wird, weiß dennoch niemand. Kurzfristiges Ziel sei eine teilweise Befahrbarkeit, hieß es seitens der Gemeinde Anfang Dezember, welche zu dieser Zeit noch von einer Befahrbarkeit bis 15. Dezember, dann von einem Zeitfenster zu Weihnachten sprach. Feuchte Bedingungen erschweren die Arbeit am Felsen, trockene Kälte wäre ideal. Den Guntschachern bleiben indes die Hoffnung und ihr ungetrübter Zusammenhalt.

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